Gastkommentar
von Andreas Umland
Der rechtsnationalistische russische Philosoph Alexander Dugin gilt als dämonisches Aushängeschild von Wladimir Putins revisionistisch-imperialistischer Machtpolitik. Sowohl sein politischer Einfluss als auch seine intellektuelle Potenz werden jedoch stark überschätzt.
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Ein häufiger Protagonist journalistischer Untersuchung der tieferen Ursachen für Moskaus jüngste Aussenpolitik ist der extravagante russische Ideologe Alexander Dugin. Langbärtig, mit sonorer Stimme und extrovertiert, ist Dugin ein telegener Redner, der das Stereotyp des archetypischen russischen Philosophen erfüllt. Er kann für seine Zuhörer Unterschiedliches sein – ein moderner Dostojewski, rechter Trotzki, orthodoxer Mönch, zweiter Rasputin oder alternativer Tolstoi.
Dugin ist ein belesener Polyglotter, der sich in mehreren Sprachen ausdrücken kann. Er kennt sich aus in Sozialtheorie, esoterischer Literatur und normativer Philosophie. Seine politischen Ansichten reichen von Samuel Huntingtons Zivilisationstheorie bis zu Aleister Crowleys Satanismus, vom linksextremen Syndikalismus bis zum rechtsextremen Traditionalismus, von erzreaktionären Prinzipien bis zu radikal nonkonformistischen Ideen.
Antiliberale Revolution
Dugin wurde als Konservativer, Marxist, Imperialist, Fundamentalist, Geopolitiker und vieles mehr bezeichnet. Die meisten dieser Bezeichnungen sind auf die eine oder andere Weise treffend, aber für sich genommen ungenau. Zur Bezeichnung seiner eigenen Ideologie hat Dugin neue Konstrukte eingeführt wie «Neo-Eurasismus» oder «Vierte Politische Theorie», um Leser in Russland und darüber hinaus zu beeindrucken.
Darüber hinaus ist Dugin ein einnehmender Redner und Gesprächspartner. In Konferenzen, Talkshows und Interviews wirkt er klarsichtig, wortgewandt und schlagfertig. Er bekennt freimütig seine extrem nihilistische Position. Dugin ruft offen zu einer weltweiten antiliberalen Revolution auf, sagt das Ende der internationalen Ordnung voraus und erklärt bereitwillig die Gründe seiner Abscheu für den Westen.
Im Jahr 2014 rief Alexander Dugin in einer berüchtigten Videopräsentation die Russen dazu auf, die Ukrainer zu «töten, töten, töten».
In den neunziger Jahren präsentierte sich Dugin unverhohlen als Faschist. Er lobte wiederholt Vertreter des deutschen Nationalsozialismus und dessen Verbündete. In letzter Zeit hat Dugin jedoch Abstand davon genommen, öffentlich Sympathie für den historischen europäischen Faschismus zu bekunden. Stattdessen gibt er sich jetzt als «Antifaschist» aus.
Die Textproduktion Dugins und seiner verschiedenen Think-Tanks in den letzten fünfunddreissig Jahren war enorm. Dugin und Co. haben Dutzende von Büchern in verschiedenen Sprachen veröffentlicht, Hunderte von Artikeln geschrieben und Tausende von schriftlichen, Audio- oder Video-Statements in einer Vielzahl russischer und nichtrussischer Medien, öffentlicher Foren und sozialer Netzwerke verbreitet. Der aussergewöhnliche Umfang, die zahlreichen Übersetzungen und die schwindelerregende Menge von Dugins Äusserungen – und nicht so sehr deren begrenzte Tiefe, fragwürdige Qualität und bizarre Behauptungen – haben ihn berühmt gemacht.
Dugin wird heute rund um die Welt als ein gewichtiger Vertreter des zeitgenössischen russischen politischen Denkens wahrgenommen. Seine öffentliche Omnipräsenz, seine bellizistischen Verlautbarungen und rhetorischen Fähigkeiten haben viele Beobachter dazu veranlasst, ihn als einen oder gar den Vordenker hinter der Wiedergeburt des russischen Imperialismus und der antiwestlichen Wende Moskaus zu sehen. In den letzten fünfzehn Jahren wurde Dugin unter anderem als «Putins Gehirn» und als «gefährlichster Philosoph der Welt» bezeichnet.
Kompiliert und abgekupfert
Die Rolle Dugins bei der neuen Aggressivität des Kremls im Allgemeinen und dem russisch-ukrainischen Krieg im Besonderen ist jedoch komplizierter. Anders als oft dargestellt, ist Dugin weder ein intellektuell innovativer Philosoph noch ein Ideologe mit direktem Zugang zum Kreml. Er gibt sich gern als beides aus und wird von seinen russischen und nichtrussischen Anhängern als tiefsinniger Denker mit Verbindungen zu Russlands Führung gepriesen. Merkwürdigerweise nehmen auch einige seiner Kritiker diese Behauptungen für bare Münze.
Dugins philosophische Äusserungen und politische Ideen sind jedoch lediglich russische Übersetzungen oder Reformulierungen verschiedener älterer nichtrussischer antirationaler und antiindividualistischer philosophischer Diskurse. Wer mit klassischer Geopolitik, integralem Traditionalismus, internationalem Okkultismus, der deutschen Konservativen Revolution, dem französischen Postmodernismus, der europäischen Neuen Rechten sowie einigen anderen alternativen Denkschulen vertraut ist, wird beim Lesen Dugins ständig Déjà-vu-Erlebnisse haben.
Rezipienten, die mit den exaltierten Konzepten von Dugins Vorbildern aus der Vor-, Zwischen- und Nachkriegszeit nicht bekannt sind, mögen ihn als einen originellen russischen Philosophen wahrnehmen. Doch was er als seine «neo-eurasische» oder «vierte» Theorie verkündet, ist lediglich von einigen umstrittenen oder/und marginalen Theoretikern und Philosophen des verhassten Westens abgekupfert. Dugins Sammelsurium nihilistischer Phantasien, faschistischer Träume und totalitärer Pläne enthält wenig Neues für Studenten des nichtrussischen Ultranationalismus, Antidemokratismus und Illiberalismus.
Ein ähnlich verbreitetes Missverständnis betrifft den häufig behaupteten direkten Einfluss Dugins auf politische Entscheidungsfindung in Russland. Zwar haben einige Personen aus dem Umfeld Putins, wie seine langjährigen KGB-Kollegen Wiktor Tscherkesow und Wladimir Jakunin, nachweislich Interesse an Dugins Schriften gezeigt.
Auch verwies Putins berüchtigter Stellvertreter, Sicherheitsratssekretär Nikolai Patruschew, in einem Interview einmal auf die geopolitischen Ideen von Sir Halford Mackinder. Patruschew hat von dem britischen Geografen möglicherweise über Dugin erfahren, der den umstrittenen Welterklärer in den neunziger Jahren in Russland populär machte. Mackinder hatte Anfang des 20.Jahrhunderts behauptet, dass derjenige die Welt beherrschen werde, der das sogenannte «Kernland», das heisst das Gebiet der heutigen Russischen Föderation, kontrolliere.
In der Vergangenheit nahmen einige von Dugins extremen Äusserungen die heutige Rhetorik der Propagandisten des Kremls vorweg. Im Jahr 2014 rief Dugin in einer berüchtigten Videopräsentation die Russen dazu auf, die Ukrainer zu «töten, töten, töten». Im Jahr 2015 verkündete er: «Der Krieg ist unsere Heimat, unser Element, unsere natürliche und ursprüngliche Umgebung, in der wir lernen müssen, effektiv und siegreich zu existieren.» Auch andere ältere Äusserungen Dugins erschienen einst als empörend, klingen aber heute in Russland zeitgemäss.
Dennoch sollte die zunehmende Kongruenz zwischen dem Duginschen Diskurs und der Kreml-Rhetorik, insbesondere seit 2022, nicht überinterpretiert werden. Eine wachsende Nähe ist offensichtlich, reicht aber nicht aus, um direkte Kausalität zwischen Dugins Ideen und Putins Politik zu behaupten. Dugin hat in den letzten Jahrzehnten bewiesen, dass er die Entwicklung des postsowjetischen Russland besser vorhersah als viele akademische Forscher. Er war aber eher ein Prophet und Förderer als direkter Anstifter oder Anführer dieser Tendenzen.
Rechte Trommelei
Dugin und seine Anhänger haben seit den neunziger Jahren freilich zu einer zunehmenden Vergiftung des russischen öffentlichen und intellektuellen Diskurses mit manichäischen, konspirologischen und eschatologischen Ideen beigetragen. Ihre Geschichten über eine uralte Feindschaft des Westens gegen Russland, den unvermeidlichen Endkampf zwischen traditionellen Land- und liberalen Seemächten, die Unterwanderung der russischen Gesellschaft durch ausländische Mächte usw. haben zur Radikalisierung von Putins Regime und Politik beigetragen. Dabei wurden Dugin und seine Anhänger von Dutzenden anderer reaktionärer, faschistischer, rassistischer und ultranationalistischer russischer Schriftsteller und Kommentatoren unterstützt.
Gemeinsam haben sie etwas Ähnliches vollbracht wie die deutsche sogenannte Konservative Revolution in der Weimarer Republik der Zwischenkriegszeit. Anstatt Parteien, Politiker, Bürokraten und Diplomaten direkt zu beeinflussen, haben sie eine Atmosphäre geschaffen, in der gewaltsame Unterdrückung im Innern und bewaffnete Aggression nach aussen selbstverständlich erscheinen. Nur wenige russische Entscheidungsträger wiederholen Dugins Ideen wortwörtlich, und noch weniger haben seine Bücher gelesen. Angesichts Dugins früherer Bekenntnisse zum Faschismus würden nur ausgewählte russische Beamte zugeben, von ihm beeindruckt zu sein.
Nichtsdestoweniger bereitete die russische extreme Rechte als ganze Russlands antiwestliche Wende im Jahr 2007, den Einmarsch in die Ukraine im Jahr 2014 und die Grossinvasion im Jahr 2022 mit vor. Dugin und ähnliche rechte Trommler haben mehr als drei Jahrzehnte lang unermüdlich imperialistische, ultranationalistische und paranoide antiwestliche Ideen geäussert. Als Putin vor fünfzehn Jahren seine Abkehr vom Westen verkündete, vor bald zehn Jahren die Krim annektierte und vor fast zwei Jahren einen grossen Krieg begann, brauchte vielen Russen nicht erklärt zu werden, warum Moskau dies angeblich tun musste. Russlands extreme Rechte, mit Dugin als ihrem philosophischen Patriarchen, hatte dies bereits Jahre zuvor getan.
Andreas Umland ist Analyst am Stockholmer Zentrum für Osteuropa-Studien (SCEEUS) des Schwedischen Instituts für Internationale Angelegenheiten (UI).
80 Kommentare
Rainer Mrochen
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"Der gefährlichste Philosoph der Welt."Dieses Statement ist ungefähr genauso wertvoll wie die Aussage: Der beste Gitarrist der Welt oder ähnlicher Unsinn, der auf subjektiver Betrachtung beruht. Bestenfalls Aufmerksamkeit erheischend.Was oder wer ist Alexander Dugin?Ohne Frage einflussreich und voraussehend in Bezug auf geopolitische Entwicklungen. Ähnlich einem Samuel P. Huntington mit seiner Schrift"Clash of Civilizations", der ja jetzt tatsächlich stattfindet, hat Dugin in seinem Werk "Konflikte der Zukunft" geopolitische Entwicklungen, wie sie jetzt stattfinden, vorausgesagt. Es ist doch völlig unabhängig davon aus welcher politischen Richtung eine Aussage kommt, wenn sie sich denn bewahrheitet. Insofern darf niemand von den gegenwärtigen Entwicklungen überrascht sein. Der Artikel ist ein Pamphlet, reine Polemik, einzureihen in westliche Propaganda.Dugin geißelt die "liberale Diktatur des Westens", die in einem fortgesetzten Versuch des Neokolonialismus ihren Ausdruck findet.Er plädiert "für eine Vielfalt der Zivilisationen."Wenn er den Begriff "Zivilisationsstaat" bemüht, dann meint er damit die zivilisatorische Unabhängigkeit vom Westen. Das sind selbstverständlich Überlegungen die man, berechtigterweise, anstellen kann. Das derartige Gedankengänge nicht in das Selbstverständnis des "Wertewestens" passen ist nur zugut zu verstehen. Ich plädiere für die Vielfalt der Meinungen und eine offene Diskussion die u.U. auch die eigene Position in Frage stellt.
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serena manjanov
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Dugin ist nur ein Quatscher am Spielfeldrand. Ihn im Rückblick auf die jüngeren Geschehnisse überhöhend als "vorausschauenden Philosophen" zu ehren ist eine Fehleinschätzung.Er hat lediglich mitgeschrieben was in der russischen Bevörkerung seit der Wende stattgefunden hat: nach dem Loch des Zusammenbruchs gab es eine Phase des Aufschwungs und damit einhergehend eine gewisse Euphorie, verbunden mit dem Glauben zum "Westen" aufschliessen zu können, gleichwertig zu sein und dem Eigenanspruch des Herrenvolkes entsprechend die angemessene Anerkennung zu erhalten.Seit rund 15-20 Jahren wurde zunehmend klar dass daraus nix wird. Der Frust brach seine Bahn und daraus wurde Zorn und Wut. Wer ein bisserl genauer hingeschaut hat konnte das mühelos erkennen.Im "Westen" gekaufter BlingBling ersetzt weder Bildung noch Verstand.
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